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Alvar Aalto (1898 - 1976)

Design braucht den menschlichen Bezug, forderte der Finne Alvar Aalto. Weich geschwungenes Holz war sein Lieblingsmaterial - die naturnahe nordische Antwort auf Le Corbusier und die kühlen Bauhaus-Puristen. Fast nebenbei erfand er so den Skandinavien-Look.
Alvar Aalto (1898 - 1976)
© Artek

Können Möbel Menschen gesund machen? Alvar Aalto hat daran geglaubt. Als nicht mal 30-Jähriger gewann er einen Wettbewerb für ein Lungenkrankenhaus und konstruierte den Patienten einen federnden Liegesessel, der zum Kunstwerk wurde – und zum Markenzeichen. Später nannte man die geschwungene Silhouette des Sessels "Aalto-Kurve", als sei Aalto ein Modeschöpfer; mehr noch aber als die Formen erwiesen sich andere Merkmale als das Typische des Finnen: Naturnähe, Sanftheit und sein Gespür für das Zusammenspiel von Heimat und Internationalität. Mit all dem hat Aalto der Moderne etwas Weicheres hinzugefügt, den menschlichen Faktor, die Nähe zum Alltag, die Wärme von Holz.

Von vollgekritzelten Tischdecken zum Prestigeprojekt

Man braucht nicht viel Fantasie, um die Wurzeln dafür in seiner Herkunft zu sehen: Er wächst in einem ganz kleinen Dorf in Mittelfinnland auf, der Großvater war Förster, der Vater ist Landvermesser, ein wichtiger Job in der jungen Republik Finnland. Auf Reisen mit dem Vater erlebt Alvar Aalto den Reichtum der Landschaften – und ihre zeichnerische Übertragung in Kurven und Karten. Noch im hohen Alter wird er immer einen Stift dabeihaben, Erzählungen mit schnellen Skizzen untermalen und dabei selbst Tischdecken vollzeichnen. Der Junge will Maler oder Ingenieur werden, aber als er 1916 sein Abitur macht, ist es nicht leicht, überhaupt eine Zukunft zu planen; die Revolution in Russland und die Weltkriegswirren sorgen auch in Finnland für unübersichtliche Zeiten. Aalto macht ein Praktikum bei einem Architekten, und er muss zum Militär, danach studiert er an der Technischen Hochschule; gleichzeitig ist er immer noch Maler, sucht seinen Platz zwischen politischer Unruhe und Boheme.

Seinem ersten eigenen Büro im Kellergeschoss eines Hotels gibt er den ironischen Namen "Büro Alvar Aalto für Architektur und Monumentalkunst", und seine frühen Entwürfe schwanken noch zwischen Jugendstil und historischen Zitaten; bis er Aino kennenlernt, eine Architektin, drei Jahre älter als er. Aalto engagiert sie – und heiratet sie noch im selben Jahr. Eine glückliche Verbindung auch zweier Talente, die wie eine Initialzündung wirkt. Das Büro gewinnt jetzt Wettbewerbe, baut ein Zeitungshaus und eine Bibliothek, und fast nebenbei entsteht dafür das erste schlichte Aalto-Möbel, ein Hocker. 1928 dann das riesige Prestigeprojekt des Lungensanatoriums im westfinnischen Ort Paimio. Als es 1933 eingeweiht wird, ist es das größte Betongebäude Finnlands, mit atemberaubenden neuen Ideen.

Ein liebvoll gestaltetes Spital

Alvar Aalto (1898 - 1976)
© Artek

Gerade ein Spital müsse mit Liebe gebaut werden, erklärt Aalto den gedanklichen wie materiellen Aufwand. Die Zimmer sind konsequent auf liegende Patienten ausgerichtet: farbig gestrichene Decken und blendfreies Licht. Vor den Zimmern befinden sich große Balkone, auf denen man die frische Waldluft atmen kann. Ein Clou ist der federnde Sessel, in dem Sitz und Lehnen fließend ineinander übergehen, dem Schwung der Wirbelsäule nachempfunden und mit einem markanten 110-Grad-Sitzwinkel, der das tiefe Atmen unterstützen soll. Es dürfte das am aufwändigsten durchdachte Krankenmöbel der Designgeschichte sein, denn gerade die schlanke Leichtigkeit ist das Ergebnis raffinierten Drucks: Erst viele Schraubpressen und lange Biegezeiten schaffen es, die engen Kurvenschwünge zu fixieren.

Anfangs hatte Aalto noch mit Stahlrohr experimentiert, in dem die deutschen Bauhäusler das Möbelmaterial der Zukunft sahen. "Aber Stahl erschien mir zu kalt, erst recht für Kranke." Aalto bringt zusammen, was sich vorher fremd war: Konstruktionsideen aus dem Schiffsbau, einen starken Leim aus der Flugzeugforschung und als wichtigste Neuerung Birkenholz, das bislang industriell nur für Skier genutzt wurde. Aalto erschließt es für den Möbelbau.

Triumph, schmerzhafter Abschied und tiefer Fall

Die durch das Krankenhaus gewonnenen Erfahrungen mit Schichtholz ermutigen Alvar und Aino, eine eigene Firma nur für Möbel zu gründen. Sie nennen sie "Artek", ein programmatisches Kunstwort aus "Art" und "Technik". Eine ganze Kollektion minimalistisch-blonder Möbel entsteht, eine Art skandinavischer Antwort auf die eher kühl-metallenen Bauhaus-Ideen. Zeit seines Lebens ist Alto am meisten stolz auf eine Holz-Innovation, die für Außenstehende eher unscheinbar wirkt, die aber die Basis all seiner Hocker und Stühle bildet: das L-förmige Bein. Er lässt es sich in mehreren Varianten patentieren und nennt es etwas theatralisch "Schwester der Säule". Holz, findet er, sei das humanste Baumaterial, wenn man nur seiner gewachsenen Struktur folge. Aber auch mit Glas setzt Aalto Zeichen – er gewinnt einen Wettbewerb von Iittala mit einer geschwungenen Vase, die zum Klassiker wird.

Alvar Aalto (1898 - 1976)
© Artek

Seinen Auftritt bei der Weltausstellung 1936 in Paris fasst er lakonisch zusammen: "Es war wohl ein Erfolg, alle Vasen wurden gestohlen!" Zu einem Triumph wird ihm 1939 die New Yorker Weltausstellung, für die er die finnische Halle entwirft. Auch hier ist eine Welle der Blickfang, diesmal aus riesigen, leicht geneigten Holzstäben. Die Inszenierung ist visionär: Was Aalto hier gebaut hat, wird 15 Jahre später zum populären Signet der 50er Jahre werden, in denen viele Theater und festliche Konzertsäle so aussehen. Noch in New York wird er an die weltberühmte Cambridge-Universität berufen, wo er nicht nur unterrichtet, sondern nach Kriegsende auch ein riesiges wellenförmiges Studentenheim bauen kann. Überall euphorische Aufbruchstimmung, doch für Aalto geht sehr plötzlich etwas zu Ende: Ehefrau und Partnerin Aino stirbt mit 54 an Krebs; 24 Jahre lang waren sie verheiratet. Alvar ist jetzt 51, stürzt sich in die Arbeit, ins Reisen und wohl auch in den Wein, bis ihm der vom Arzt verboten wird.

Unangefochtener Ruhm trotz immensen Fehlgriffen

Nach drei Jahren schickt ihm das Schicksal wieder eine Architektin, und sie reißt ihn aus der Krise. Mit Elissa, die seine zweite Frau wird, baut er auf einer Insel ein neues "Experimenthaus" in einer Mischung aus Ruinenromantik und Bootshauslässigkeit; es enthält ein Malatelier, und rund um eine archaische Feuerstelle‚ im Hof stehen Mauerfragmente, in denen er mehr als 40 Ziegelsorten in ihrer Lichtwirkung ausprobiert. Das Möbelentwerfen gibt er auf, dafür baut er umso mehr. Skandinavische Architektur ist international schick geworden, vor allem sozialdemokratisch regierte Städte bestellen jetzt Schulen, Bibliotheken, Kirchen und Rathäuser; so baut er zum Beispiel in Berlin, Wolfsburg und Bremen, dort sogar das damals höchste deutsche Wohnhaus.

Alvar Aalto (1898 - 1976)
© iittala.com

Ausgerechnet in Helsinki erlebt Aalto aber auch Rückschläge. So wird ein Bürogebäude scharf kritisiert, weil es historische Sichtachsen zum Hafen versperrt, und als er für die riesige Finnlandia-Halle importierten Marmor verwendet, erweist sich der im nordischen Klima als teurer Fehlgriff. Aaltos Ruf kann das aber nichts anhaben. Als er mit 78 Jahren stirbt, gilt er in seiner Heimat wie weltweit als der wichtigste Architekt Finnlands. Der ausgleichende Geist Alvar Aaltos zeigt sich noch über seinen Tod (1976) hinaus: Elissa erfüllt ihm den Wunsch, in Helsinki neben seiner ersten Frau beerdigt zu werden. Und weitere 18 Jahre später wird auch sie dort bestattet.

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