
Sein kultiger "Panton Chair" hat zwei völlig verschiedene Gesichter, je nachdem aus welchem Blickwinkel man ihn betrachtet – er kann schlank aussehen oder sperrig; er ist seines kühnen Prinzips wegen weltberühmt, aber nicht aus jeder Sicht schön. Auch Verner Pantons Leben kann man aus zwei Perspektiven sehen. Er hat immensen Erfolg gehabt, und er hat das Design revolutioniert. Aber er hatte danach auch glanzlose Jahrzehnte, in denen sich die Erfolge nicht mehr wiederholen ließen. In dieser zweiten Lebenshälfte hat er noch einen Zirkus ausgestattet, einen originellen Stuhl für Ikea gezeichnet und Gastvorlesungen an Hochschulen gehalten; aber er musste auch mit ansehen, wie seine Gesamtkunstwerke, etwa seine Installationen im Hamburger "Spiegel"-Haus, rückgebaut und seine futuristischen Farbwelten Stockwerk für Stockwerk wieder übermalt wurden.
Und fast tragisch, mindestens aber dramatisch, muss man nennen, dass er die große offizielle Anerkennung seines Heimatlandes knapp verfehlte – er starb zwölf Tage, bevor ihn Dänemark mit einer umfassenden Retrospektive erstmals ehren wollte. Heute stehen seine Sofas stolz inmitten neuer Prada-Boutiquen, und die Reste seiner legendären "Spiegel"-Kantine wurden fürs Museum restauriert – Pantons Welt ist, 14 Jahre nach seinem Tod, wieder da. Es hätte auch ganz anders kommen, vor allem aber hätte Verner Panton es sich sehr viel leichter machen können.
Die Tradition auf den Kopf stellen
Dänemark ist klein, und schon früh bewegt sich der junge Panton im inneren Zirkel des nordischen Designs. Neben dem Architekturstudium arbeitet er bei Arne Jacobsen und heiratet 1950 die Tochter seines Lehrers Poul Henningsen, des großen Leuchtendesigners. Aber er träumt andere als die traditionellen Träume. Wenn seine Kommilitonen zur Anregung historische Stile studieren, geht er lieber in Kunstausstellungen, er will weg vom Monopol des auf Holz fixierten Skandinavienstils mit seinem ehrenwerten, aber manchmal auch biederen "Gode Smag".

Panton entwirft Kirchen aus Glas oder aufblasbare Häuser und versucht sich an Luftkissensofas – was aber nicht klappt, weil die Kunststoffkammern nicht dicht halten. Erstes größeres Projekt ist 1958 der Erweiterungsbau des elterlichen Gasthofs auf der Insel Fünen, von außen nur ein sachlich-funktionaler Glasriegel, der es aber in sich hat. Von der Decke lassen sich textile Raumteiler herabsenken, und ein durchgestyltes Farbkonzept aus fünf Rottönen zieht sich von den Servietten durch bis zu den Uniformen der Kellnerinnen; dazu Möbel, die man so noch nie gesehen hat: Stühle aus auf den Kopf gestellten Kegeln, an der Grenze der statischen Möglichkeiten, denn der fragile Fuß ist ausgerechnet dort am dünnsten, wo sich der höchste Druck konzentriert.
Selbst Poul Henningsen (inzwischen Ex-Schwiegervater, denn Pantons Ehe hat nur ein Jahr gehalten) ist skeptisch: Er hält den Stuhl für "zu spitzärschig". Doch der später so genannte Eistütenstuhl macht Panton erstmals bekannt, Fotos gehen um die Welt, was auch ein wenig am Styling liegen mag – pure leicht bekleidete Models. Insider sehen noch etwas anderes: Mit dem markanten Gitterdraht wird ein eher technisches, bisher nur unsichtbar verwendetes Material als bildstarkes Gestaltungselement eingesetzt.
Menschliche Widerstände und technische Probleme

Pantons wirkliche Passion und Vision jedoch gilt dem Kunststoff. Als er eine Fabrik besichtigt und sieht, wie leicht dort Putzeimer aus Plastik entstehen, will er das Prinzip auch auf Möbel anwenden. Es soll mehr als elf Jahre dauern, bis er es schafft – mit einer Mischung aus Ungeduld und Trotz, aus Optimismus und Glauben an seine Idee. Weil er im holzorientierten Dänemark keinen Hersteller findet, baut er einen VW-Bus zum mobilen Wohn- und Arbeitsraum um und fährt durch ganz Europa, überall erfährt er Aufmunterung – und zugleich Ablehnung, er sammelt Absagen von 16 Firmen.
Erst das Zusammentreffen mit dem Erben der Schweizer Ladenbaufirma Fehlbaum, einem ähnlich unabhängigen Geist, macht Hoffnung. Die Firma ist dank einer einzigen Idee von Fehlbaum senior groß geworden, der auf einer USA-Reise Eames-Möbel kennengelernt und sich dafür die Europalizenz besorgt hatte: ein riesiger Erfolg, aber auch eine Monokultur. Es soll der Däne Panton mit seiner Idee vom Kunststoffstuhl sein, der mit Fehlbaum junior gegen viele Widerstände den Grundstock für eigenes, also nicht aus den USA importiertes Vitra-Design legt.
Die Widerstände sind menschlicher (George Nelson etwa, der Artdirector der amerikanischen Eames-Firma, mag das Panton-Projekt überhaupt nicht), die Hauptprobleme aber sind technischer Natur. Die Idee, eine S-förmige Freischwinger-Silhouette am Boden in einer Kunststoffkurve auslaufen zu lassen, erweist sich als kompliziert, mal ist das Material zu spröde, mal zu weich; das ungewohnte Neue zeigt sich bis in die Unsicherheit seiner Beschreibung: "Es gibt Vierbeiner, Dreibeiner, Einbeiner – Verner Panton entwarf einen Keinbeiner", heißt Vitras erster Werbespruch; keinen Zweifel aber gibt es, dass der mutige Stuhl nach seinem Initiator "Panton Chair" heißen soll.
Psychedelisches Wohnen statt klassischem Wohnstil

Es ist der Durchbruch; Panton lässt sich mit seiner zweiten Ehefrau im Vitra-Umfeld Basel nieder, und nun kennt seine Fantasie kein Halten mehr. War die bei Kleinobjekten schon immer vital – seine Spiral- und Muschelleuchten wirken so dynamisch, als lebten sie –, so nimmt er sich jetzt den ganzen Raum vor. Fast lustvoll fremdelt er mit der klassischen Einrichtung. "Ich kann es nicht ertragen", erkärt er, "in ein Wohnzimmer mit dem klassischen Sofatisch zu kommen und zu wissen: Hier sitzt man nun den ganzen Abend fest!"
Parallel zur Kölner Möbelmesse kann er auf einem Werbeschiff für den Bayer-Kunststoff Dralon zeigen, wie er sich Wohnen vorstellt: Seine Installation lässt die Grenzen zwischen Wand, Decke und Boden ebenso vergessen wie die zwischen Sitzen und Liegen – eine soft gepolsterte psychedelische Wohnlandschaft mit Sitzmöglichkeiten nicht nur neben-, sondern, in einem "Living Tower"-Element, sogar übereinander: Kunststoff-Wohnen in 3-D und vor allem in Farbe.
"Man sitzt bequemer auf einer Farbe, die man mag", schwärmt Panton, und es ist nicht zu übersehen, was seine Lieblingstöne sind: alles auf der Skala zwischen Rot und Orange. Farbe sei sogar wichtiger als Form, propagiert er und darf, Höhepunkt seines Schaffens, sogar die Innenwelten des 1969 neu errichteten Hamburger "Spiegel"-Verlagshauses in Knallfarben gestalten. Die Redaktionsstockwerke bekommen kühle Töne zwischen Blau, Violett, Grün und Dunkeltürkis, die Verwaltungsetagen Gelb-Orange, Kantine und Lobby Rottöne – als ginge es in einen Discoclub.

Wenige Jahre später, Mitte der 70er, ist es vorbei mit so viel Lässigkeit, und der rapide Wertewandel hat einen Namen: Ölkrise. Was Panton eben noch so futuristisch machte, der Kunststoff, lässt ihn ganz plötzlich gestrig wirken. Heute ist die Ölkrise nicht kleiner, aber noch viel mehr fehlt es an Optimismus. Das macht Panton wieder so modern – einen Mann, der an seine Träume glaubte und ihnen hinterherfuhr mit einem schlichten VW-Bus.