Sebastian Conrad im Interview mit SCHÖNER WOHNEN über die Wunder vor der Haustür:
Sebastian, wenn wir Ihnen heute einen Blumenstrauß schenkten, wie müsste er aussehen?
Ich würde mir einen Strauß mit regionalen Blumen wünschen, egal zu welcher Saison. Jetzt im Winter vielleicht Samenstände, die im vergangenen Jahr angebaut, geerntet und langsam getrocknet wurden. Zum Beispiel Gartenrittersporn, der lange Zeit seine Farbe und Form behält. Der Strauß könnte auch gemischt sein mit den ersten Zwiebeln, die natürlich biozertifiziert in Deutschland angebaut worden sind. Ein idealer Strauß ist nachhaltig gearbeitet, die Transportwege sind so kurz wie möglich.
Viele verbinden mit Februar ja die ersten Tulpen.
Weil wir sie schon in den ersten Wochen des neuen Jahres in jedem Supermarkt sehen. Aber 90 Prozent der Schnittware werden importiert, vor allem aus Holland, aber auch aus Südamerika und Afrika. Dort wird für die Bewässerung das Wasser von Seen verwendet, was den Spiegel sinken und den Salzgehalt im Wasser steigen lässt. Dadurch verändern sich ganze Landschaften und Vegetationen. Dazu kommen die Arbeitsbedingungen. Klar, es gibt Betriebe, die fair arbeiten und Mindestlohn zahlen. Aber die Maschinerie, die durch die Globalisierung entstanden ist, und die Massen, die in den Blumenläden stehen, sind weder zeitgemäß noch umweltverträglich.
Was wäre denn zeitgemäß?
Wieder mehr Natürlichkeit zuzulassen. Und nicht im Januar schon Tulpen anzubieten, die in Deutschland ja frühestens im April ans Licht kommen. Da braucht es ein Umdenken der Kunden, wir Floristen und Gestalter müssen die Alternativen aber sichtbar machen. Zum Beispiel mit dem Reichtum, den die Natur vor der Haustür zu bieten hat. Auch der winterliche Garten ist voller Strukturen, wunderschöner Gehölze mit interessanten Rinden oder mit besonderer Zeichnung. Oder Zweige, an denen noch Blätter vorhanden sind. Wir haben genug Gestaltungsmöglichkeiten mit den Ressourcen, die vor Ort sind.
Das heißt, wir müssen lernen, anders hinzuschauen?
Ich ziehe gern die Parallele zum Gartendesign. Dort wird der natürliche Zyklus auch nicht beeinflusst. Ich setze Pflanzen, die viel Schatten benötigen, ja nicht einfach in die Sonne und hoffe dann, dass sie irgendwie funktionieren. Wieso sollte sich die Natur nach uns richten? Wir sind nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern nur ein winziger Teil von ihr.
Im Gartendesign arbeiten Sie ähnlich wie als Florist, oder?
Ja, sehr naturbedacht. Mir ist es wichtig, den Genius Loci herauszuarbeiten, den Geist des Ortes. Das ist ein philosophischer Ansatz, so alt wie die Antike. Heute geht es darum, die Atmosphäre eines Ortes wahrzunehmen und sich in der Gestaltung danach zu richten.
Wie gehen Sie da konkret vor?
Das Wichtige ist, im Garten anzukommen und einfach wahrzunehmen. Durch größere Gärten wandere ich, in kleineren setze ich mich hin und nehme mir Zeit zu beobachten. Was taucht auf, gerade jetzt, in der unmittelbaren Umgebung? Welche Geräusche höre ich? Welche Elemente ziehen den Blick an? Das kann eine Pflanze sein, die durch die Terrassenplatten wächst. In Stadtgärten ist vor allem das Licht interessant: Wo entsteht der Schatten, was verändert sich?
Sie gehen also auf Empfang.
Ich achte auf Details. Nehme wahr, was existiert, und versuche zu verstehen: Wie kann ich das, was bereits da ist, verwenden und die immanente Schönheit noch bewusster machen?
Was können wir von der Natur lernen?
Dass alles im Fluss ist. Diese ständige Veränderung wird uns mit jedem Wetter und mit jeder Saison vor Augen geführt. Es ist ein Kreislauf: Manche Pflanzen wachsen über 30 Jahre, vergehen dann und verschwinden aus dem Garten. Und nach ein paar Jahren kommen sie plötzlich wieder, zum Beispiel der Orientalische Mohn.
Welches ist Ihr liebstes Stück Natur?
Der Wald. Ich gehe gern durch Pinien- oder Kiefernwälder, im Sommer barfuß, damit ich den Boden spüren kann. Diese Wälder sind voller Leichtigkeit und Zeitlosigkeit. Es ist ein Geschenk, ein Stück Natur bewusst wahrnehmen zu können. Das kann auch der Stadtpark sein oder ein gut gestalteter Balkon. Das Talent dazu, nämlich unsere Sinne, haben wir alle. Wir müssen sie nur nutzen.
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