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Okay, nicht alle Bauhausziele wurden erreicht. Viele der Möbelentwürfe, die als Serienprodukte für eine bessere Welt gedacht waren, in der sich auch Arbeiter schönes Wohnen leisten können sollten, sind heute Statussymbole und nicht für jedermann erschwinglich. Das Volk, für das sie in den 1920er Jahren entwickelt wurden, hat damals wie heute ein ambivalentes Verhältnis zu Flachdach und weißer Moderne, und mancher überlässt das kühle Stahlrohr gern den Hotellobbys und Praxiswartezimmern dieser Welt. Selbst Wassily Kandinsky, der am Bauhaus unterrichtete und nach dem immerhin Marcel Breuers Stahlrohrsessel benannt ist, bezog sein von Walter Gropius erbautes Meisterhaus in Dessau mit alten Möbeln und gestaltete die Wände farbig, weil ihm die Kühlen Räume dort zu ungemütlich waren. Und Tom Wolfe, der sich in seinem Essay "From Bauhaus to our house" 1981 über den nicht funktionierenden Funktionalismus der Bauhausarchitektur lustig machte, hätte vermutlich diebische Freude daran, dass die Namensrechte der berühmten Schule inzwischen bei einer Baumarktkette liegen.
Von Gropius bis Wagenfeld: Treff der Ikonen
Trotz teilweise unbequemer Sitzgelegenheiten und energetisch suboptimaler Flachdachbauten ist jedoch unumstritten, dass in den 14 Jahren zwischen der Gründung der Schule in Weimar 1919 und ihrer Schließung durch die Nationalsozialisten 1933 eine der einflussreichsten ästhetischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts entstanden war. Am Bauhaus unterrichteten außer Gropius und Kandinsky Größen wie Paul Klee, Johannes Itten, Lázló Moholy-Nagy, Mies van der Rohe, Oskar Schlemmer und Josef Albers. Zu den Schülern zählten Wilhelm Wagenfeld, Marianne Brandt, Christian Dell und Marcel Breuer, der nach dem Umzug der Schule nach Dessau die Möbelwerkstatt leitete.
Die Bauhäusler entwickelten Möbel, Leuchten, Kunstwerke und Räume, die wir heute noch als modern empfinden, denn ihr Ziel war, alles neu zu erfinden, von der Typografie bis zum Bühnenbild, von der Textilgestaltung bis zur Architektur, vom Möbel bis zur Malerei. Dr. Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhausarchivs in Berlin, sagt: "In den Entwürfen des Bauhauses steckt mehr als nur das Glatte, Dekorlose, Funktionale. Es sind die Werte, die man viel stärker fühlt als sieht." Und Axel Bruchhäuser, dessen Firma Tecta in Lauenförde Bauhaus-Möbel herstellt, erklärt: "Das Grundsätzliche in der Herangehensweise der Bauhaus-Lehre hat die zeitlose Kraft der Entwürfe hervorgebracht. Das Bauhaus war keine Stilrichtung, sondern eine Denkschule, wie Gropius’ Tochter Ati immer wieder verdeutlichte.“
Schule der Reduktion
Walter Gropius entwickelte die Ursprungsidee für die Gründung des Bauhauses "aus einer Mischung tiefer Niedergeschlagenheit als Folge des verlorenen Krieges und einer glühenden Hoffnung, aus diesen Trümmern etwas Neues aufbauen zu können“. Der Name Bauhaus bezog sich auf die Bauhütten des Mittelalters, in denen verschiedene Gewerke zusammenkamen – und so sollten auch an der Schule die verschiedenen Disziplinen gelehrt werden, mit einem Fokus auf dem Handwerk und dem Ziel, alles Überschüssige wegzulassen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Neu an der Herangehensweise war die "Vorlehre". Jeder Schüler sollte sich zunächst ein Jahr lang zweckfrei mit Material und Farbe beschäftigen, um einen experimentellen Zugang zu den Handwerkskünsten zu finden, die in den weiterführenden Jahrgängen gelehrt wurden: Tischlerei, Metallarbeit, Keramik, Malerei, Bildhauerei, Weberei, Kunstdruck, Fotografie, Grafik und Bühne.
Ein ganz eigener Lebensstil
Das Bauhaus war aber weit mehr als eine Schule. Studentinnen schockierten brave Bürger mit Nacktbaden und Kurzhaarfrisuren. Man lebte wie in einem Internat zusammen und feierte ausgiebig. Ein bunter Strauß an Weltanschauungen wurde vor allem in den Anfangsjahren kultiviert, von Wandervogeltum über Schreckhypnose bis zu Mazdaznan. Bauhauslehrer Johannes Itten war Anhänger dieser sektenähnlichen Lehre, die unter anderem Meditation, kurz geschorene Haare und eine Diät aus Gemüsebrei mit Knoblauch vorschrieb.
Ein bunter Strauß an Weltanschauungen wurde vor allem in den Anfangsjahren kultiviert, von Wandervogeltum über Schreckhypnose bis zu Mazdaznan. Bauhaus-Lehrer Johannes Itten war Anhänger dieser sektenähnlichen Lehre, die unter anderem Meditation, kurz geschorene Haare und eine Diät aus Gemüsebrei mit Knoblauch vorschrieb. Dass in der Bauhaus-Kantine nach Mazdaznan-Regeln gekocht wurde, veranlasste die Gropius-Ehefrau Alma Mahler zu dem Kommentar: "Ein Merkmal des Bauhaus-Stils ist, wenn einer aus dem Hals nach Knoblauch stinkt.“
Experimente mit Materialien
Nachhaltiger ist der Einfluss der Möbelentwürfe, die in der Bauhauszeit entstanden. Inspiriert von einem Fahrradlenker, entwickelte Marcel Breuer 1924 die ersten Möbel aus Stahlrohr – einem Material wie geschaffen für das Maschinenzeitalter: Es reduziert einen Sessel auf Linien und Flächen im Raum, ist hygienisch und stabil. "Man sitzt wie auf federnden Luftsäulen", schwärmte Breuer. Mart Stam verwendete Gasleitungen, um den ersten Kragstuhl zu bauen, Mies van der Rohe führte dessen Idee zum eleganten "Weißenhofsessel" mit halbkreisförmigen Kufen weiter.
Die hinterbeinlosen Stühle, erstmals 1927 auf der Ausstellung "Das neue Wohnen" in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung gezeigt, waren Ausdruck der Bauhausvision vom funktionalen Wohnen, die pure Reduktion. Bei Thonet, wo seit den 30er Jahren Stahlrohrmöbel hergestellt werden, ist Bauhaus bis heute ein Bestseller. "Seit 2009 hat sich der Absatz an Bauhausmöbeln nahezu verdoppelt", sagt Geschäftsführer Thorsten Muck und erklärt den Erfolg so: "Unsere Möbel aus der Bauhauszeit sind Archetypen. Sie nehmen sich zurück in ihrer Form, schreien nicht 'Design' und sind mit ihren klaren Linien überzeitlich."
Nicht nur die Möbel der Bauhaus-Ära erfreuen sich zurzeit großer Beliebtheit: Die im Krieg zerstörten Meisterhäuser von Gropius in Dessau wurden 2014 rekonstruiert und sind der Öffentlichkeit wieder zugänglich, im Dessauer Atelierhaus kann man sogar in Bauhaus-möblierten Zimmern übernachten. Mies van der Rohes Pavillon für die Weltausstellung 1929 ist seit Jahren ein Muss jeder Barcelona-Reise, und auch die Villa Tugendhat in Brno ist seit 2012 wiederhergestellt.
Bauhaus-Jubiläum: 100 Jahre Bauhausstil
2019 feierte die ebenso legendäre und einflussreiche Kunstschule 100. Geburtstag. Alles Wissenswerte zum Jubiläum wie Ausstellungen, Events, Museumseröffnungen und noch vieles mehr finden Sie unter www.bauhaus100.de