SCHÖNER WOHNEN: Die Klimabewegung "Fridays for Future" kennt inzwischen jeder. Wer aber sind die"Architects for Future"?
Adrian Nägel: Wir verstehen uns als offenes Netzwerk von allen am Bau beteiligten Berufsgruppen wie Architektur, Fachplanung und Handwerk. Unser Ziel ist es, die Bauwende voranzutreiben und die Branche so zu transformieren, dass sie ihren nötigen Beitrag zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad leistet. Uns geht es nicht nur um klimafreundliches Bauen, sondern auch um Flächenverbrauch und Artenvielfalt, beides Aspekte, auf die das Bauen großen Einfluß hat. Alle, die für diese Themen brennen, sind bei unseren Ortsgruppen willkommen.
Der Bausektor ist für fast 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich; gesprochen wird aber vor allem über den Verkehr. Deshalb fordern Sie analog zur "Verkehrswende" eine "Bauwende". Was stellen Sie sich darunter vor?

Das Beste für den Klimaschutz wäre, grundsätzlich nicht mehr neu zu bauen und stattdessen den Bestand zu sanieren. Neubauten führen zu immer mehr Flächenverbrauch, obwohl die Bevölkerung unterm Strich nicht wächst. Was noch wichtiger ist: In Häusern stecken Baustoffe, bei deren Produktion Energie aufgewendet wird und CO2 entsteht. Wenn wir von einer Lebensspanne eines Gebäudes von 60, 70 Jahren ausgehen, liegt der Energieverbrauch in dieser Zeit etwa auf dem gleichen Niveau wie die Energie, die in Materialien und Hausbau steckt, die sogenannte "graue Energie". Bisher schauen wir zu isoliert auf die Verbrauchswerte von Heizung, Strom und Wasser.

Architektur ist ein Kulturgut. Wenn wir gar nicht mehr bauen, geht da nicht was verloren?
Ja, aber was? Die Wohnbauten, die seit einigen Jahren in großem Maßstab entstehen, sind ja in den meisten Fällen nicht von hohen gestalterischen Ansprüchen geprägt, sondern von den Anforderungen der dahinterstehenden Investoren. Gebäude werden immer kurzlebiger, das sieht man ihnen auch an.
Könnte die Lösung nicht sein, bestimmte Bedingungen zu definieren, unter denen Bauen vertretbar ist?
Genau das tun wir. Gar nicht mehr bauen – das ist theoretisch das Optimum. Die Realität ist komplizierter. Wir fordern daher, den Neubau auf das zu beschränken, was wirklich gebraucht wird. Da reden wir von Nachverdichtungen in Innenstädten, Aufstockungen und herausgehobenen Sonderbauten, etwa für die Kultur, die eine hohe Qualität und eine lange Lebensdauer haben. Ansonsten haben Sanierung, Umbau und Umnutzung Vorrang, allein schon, weil bei jedem Abriss eine Menge grauer Energie verloren geht. In Hamburg etwa gibt es mit "Gröninger Hof" ein Projekt, bei dem ein innerstädtisches Parkhaus aus den 60er-Jahren in ein gemischt genutztes Gebäude mit bezahlbarem Wohnraum und Flächen für Gewerbe und Kultur umgewandelt wird. Solche Transformationen sind an vielen Stellen möglich, wenn man nur will. Und wenn doch neu gebaut wird, dann klimafreundlich.
Was heißt das konkret?
Neubauten sollten heute mindestens klimaneutral sein, wenn wir das Ziel, 2045 mit dem gesamten Gebäudebestand klimaneutral zu sein, ernst meinen. Spannend wird das bei den Materialien: Mit nachwachsenden Rohstoffen, die CO2 binden, etwa Holz oder Stroh, und Materialien wie Lehm, die es vor Ort schon gibt und bei deren Produktion wenig bis keine Energie aufgewendet wird, wird das Bauen klimafreundlicher. Die Kreislauffähigkeit von Materialien ist ebenfalls ein starker Faktor: Vieles kann man wiederverwenden, etwa gebrannte Ziegel, sodass der CO2-Ausstoß bei der Produktion eingespart wird. Schaut man sich auf einer durchschnittlichen Baustelle um, sieht man aber vor allem mineralische und erdölbasierte Baustoffe und das muss sich ändern. Fast alle Baustoffe lassen sich durch klimafreundliche Alternativen ersetzen, und wo das nicht möglich ist, kann man den Einsatz auf ein Minimum reduzieren, etwa beim Beton.

Warum geschieht das noch nicht?
Da passiert zurzeit schon eine Menge, zum Beispiel bei Geschosswohnungsbauten in modularer Holzbauweise, wo Beton nur noch für Treppenhaus und Fundament gebraucht wird. Aber es stimmt: Wir haben noch einen Weg vor uns. Zum Teil liegt das an den rechtlichen Vorgaben, die das Bauen etwa mit Lehm und Strohdämmung zwar nicht unmöglich, aber komplizierter machen. Wer weiß schon, dass man mit diesen Materialien Bestandsbauten ebenso dämmen kann wie mit einer davorgeklebten Styroporschicht? Unsere Mission als Architects for Future ist es, hier aufzuklären und die Politik zu motivieren.
Apropos Politik: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten hat Deutschland wieder ein Bauministerium. Wie bewerten Sie die Arbeit von Klara Geywitz?
Verglichen mit den Jahren davor sehen wir einen riesengroßen Fortschritt. Bisher war das Bauen ja bei wechselnden Ministerien angesiedelt; da ging es nur darum, wie man mehr und schneller baut, aber nicht ums Was oder Wie. Jetzt hat der Klimaschutz im Bauen eine Ansprechpartnerin, der die Dringlichkeit auch bewusst ist. Das neue QNG-Siegel etwa nimmt ja erstmals die gesamte Energiebilanz eines Gebäudes in den Blick. Auf der anderen Seite setzt das Bauministerium immer noch auf den jährlichen Neubau von Hunderttausenden Wohnungen. Das ist nicht realistisch, nicht klimafreundlich und wird übrigens auch das Mietenproblem nicht lösen, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Nochmal: Die Bevölkerung bleibt netto ungefähr gleich groß – wenn wir trotzdem immer mehr Wohnungen bauen, landen wir entweder bei rechnerisch noch mehr Wohnfläche pro Person oder haben Leerstand in unattraktiven Gegenden. Es geht also auch darum, den Wohnraum zwischen Stadt und Land neu zu verteilen und, wo nötig, in den Metropolen mit Umnutzungen und Aufstockungen neuen Wohnraum zu schaffen. Hier hat die Ministerin noch einiges zu tun, weil sich das Baurecht in erster Linie am Neubau statt am Umbau orientiert.
Welche Folgen hat das in der Praxis?
Ein typisches Beispiel: Wenn ein Gebäude aufgestockt wird, gelten Neubaustandards wie der Brandschutz auch für die unveränderten Geschosse darunter. Das macht Aufstockungen, so sinnvoll sie sind, für viele Eigentümer teuer und unattraktiv.
An einem höchst emotionalen Thema kommen wir nicht vorbei: dem Einfamilienhaus. Warum sehen Sie diesen Bautyp so kritisch?
Einfamilienhäuser sind mit ihrem ungünstigen Verhältnis von Wohnfläche zu Material-, Energie- und Erschließungsaufwand eine sehr ineffiziente Wohnform, zumal dort, wo neue Baugebiete erschlossen werden. Dazu kommt der demografische Aspekt: Nur ein Drittel der Einfamilienhäuser werden aktuell von Familien bewohnt. Wenn die Babyboomer in Rente gehen, werden viele alte Menschen in zu großen Häusern sitzen, die eigentlich eine seniorengerechte Wohnung in ihrem vertrauten Umfeld bräuchten. Dafür müssen wir architektonische Lösungen entwickeln. Mit immer mehr Einfamilienhäusern bauen wir am Bedarf der Zukunft vorbei. Schon deshalb wird dieser Haustyp künftig deutlich seltener werden.
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