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Definition: Reetdach
Unter Reet bezeichnet man an Ufern wachsendes Schilfrohr, das zur Familie der Süßgräser gehört. Reet kann bis zu fünf Meter hoch werden und gilt als eine der wichtigsten Repositionspflanzen, da es Schadstoffe aus dem Wasser filtert und somit zur allgemeinen Wasserqualität beiträgt. In getrocknetem Zustand wird das Reet, das vorallem in Uferbereichen und an Gewässerrändern wächst, unteranderem zur Dachdeckung genutzt. Die sogenannte Reetdachdeckerei gilt als eine der ältesten Handwerkstechniken in der Architektur und wurde 2014 von der UNESCO als Kulturerbe ausgezeichnet.
Während Reet früher vor allem wegen seiner lokalen Verfügbarkeit und seinen isolierenden Eigenschaften als Dachdeckmaterial verwendet wurde, muss es heute häufig nach Deutschland importiert werden, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt. Das Reet wird aufgrund seiner Beschaffenheiten nicht nur für den Dachbau genutzt, sondern kommt auch als Füllung in Trenn- und Leichtbauwänden zum Einsatz.
Die Bauweise des Reetdachs
Zu Beginn des Baus wird das Reet in geschnürten Bündeln geliefert und auf den Dachlatten verteilt, sodass sich eine einheitliche Fläche bildet. Dabei ist es wichtig, dass das Reet vor der Verarbeitung nicht chemisch behandelt wurde und die Dachfläche einen 45 Grad Winkel nicht unterschreitet. "Je steiler der Winkel der Dachneigung, desto besser kann Regenwasser, Schnee und auch Blattwerk von Bäumen abrutschn", erklärt Dachdeckermeister und Reetdach-Experte Hans-Hermann Ohm.
Grundsätzlich fällt die Wahl bei einem Reetdach auf eine Kaltdachkonstruktion, bei der das Dachgeschoss unausgebaut bleibt. Bei einem Kaltdach befindet sich im Gegensatz zu einem Warmdach zwischen der wärmedämmenden Schicht und der Dachabdichtung selbst eine Luftschicht, die die Dachkonstruktion mit Außenluft versorgt und so eine bessere Belüftung gewährleistet. Dringt der Regen in die äußere Dachschicht ein, kann diese durch den Luftzug schnell wieder trocknen, sodass das Reetdach trocken bleibt. Auch bei einem ausgebauten Dachgeschoss kann auf eine Kaltdachkonstruktion zurückgegriffen werden, jedoch bedarf es in diesem Fall einer zweischaligen Konstruktion, die eine Luftzirkulation ermöglicht.
Besitzt ein Dach keine sogenannte Hinterlüftung handelt es sich um ein Warmdach. Entscheidet man sich im Rahmen eines Reetdaches für ein Warmdachkonstruktion sollte unbedingt eine Dampfsperre an der Innenseite des Dachaufbaues installiert werden, da ansonsten die Feuchtigkeit immer weiter in das Reet einzieht und dieses auf Dauer beschädigt oder sogar zerstört.
Im Rahmen der Kaltdachkonstruktion gibt es drei verschiedene Arten ein Reetdach zu konstruieren - das Dach kann gebunden, genäht oder geschraubt werden. Bei einem gebundenen Reetdach wird das Reet mithilfe eines Vorlagedrahtes lediglich an die Dachlatten gebunden, während das Reet bei einem geschraubten Reetdach zusätzlich an die Dachlatten angeschraubt wird. Bei einem genähten Reetdach werden die Dachlagen ebenfalls mit Draht an die Dachlatten gebunden, allerdings ohne Verwendung eines Vorlagedrahtes.
Die Vorteile des Reetdachs
Das Reet zeichnet sich in erster Linie durch seine Elastizität, Festigkeit und Tragfähigkeit aus und eignet sich daher ideal für Dachkonstruktionen. Grund hierfür ist die hohe Konzentration an Silizium, die das Reet besonders wasserresistent und elastisch machen. Aufgrund der mit Luft gefüllten Hohlräume innerhalb der einzelnen Schilfrohre ist das Reet für seinen langsamen Temperaturausgleich bekannt und zeichnet sich deshalb als besonders isolierend aus, ist widerstandsfähig gegen Hitze, Kälte, Schnee und Regen. Durch diese natürliche Isolationswirkung des Dachmaterials können Wärme und Kälte innerhalb des Hauses ideal zirkulieren, ohne das ein schneller Temperaturausgleich zwischen Innenraum und Außenraum stattfindet - das Haus kann atmen und es entsteht ein angenehmes Raumklima zu jeder Jahreszeit.
Neben seiner charakteristischen, beliebten Optik und dem guten Wohnklima spielt auch der Schallschutz eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für ein Reetdach. Ähnlich wie bei der Übertragung von Wärme werden auch Schallwellen durch die Hohlräume in dem Reet schlechter übertragen, beziehungsweise gebrochen, sodass Reet als natürliches Dämm- und Schallschutzmittel gilt. Darüberhinaus wird Reet aufgrund seines Zellaufbaues, parallel ineinander verflochtenen Strängen, als besonders elastisch, tragfähig und biegsam eingestuft - sodass eine einheitliche, wasserabweisende Dachfläche gewährleistet werden kann.
Die Nachteile des Reetdachs
Wer sich für ein Reetdach entscheidet, muss davon ausgehen, dass die Kosten im Schnitt doppelt so hoch wie bei einem gewöhnlichen, mit Ziegeln bedeckten, Satteldach ausfallen. Neben Ausgaben für das importierte Material, die aufwändige Konstruktion und den langen Bauzeiten sollte darüber hinaus auch der Pflegeaufwand, sowie die anfallenden Versicherungen beachtet werden. Da es sich bei Reet um ein organisches Material handelt, kann dieses von äußeren Umwelteinflüssen wie Schimmel oder Schädlingen befallen werden, sodass eine jährliche Überprüfung des Dachzustandes empfohlen wird, um die Haltbarkeit des Daches gewährleisten zu können.
Kosten für das Reetdach
Während Reet früher aufgrund seiner lokalen Verfügbarkeit genutzt wurde, muss es heute häufig aus Ländern wie Rumänien, der Ukraine oder Ungarn importiert werden. Pro Quadratmeter fallen dabei im Durchschnitt Materialpreise zwischen 100 und 130 Euro an. Aufgrund der besonderen Arbeitsweise muss auch bei der Konstruktion des Daches, insbesondere bei Sonderformen wie Gauben, mit hohen Ausgaben gerechnet werden.
Darüber hinaus sollte für Reetdachhäuser unbedingt eine Gebäudeversicherung abgeschlossen werden, um im Falle eines Blitzeinschlags, eines Brandes oder einem Unfall durch Feuerwerkskörper finanziell abgesichert zu sein, denn Reet ist deutlich leichter entflammbar, als andere Baustoffe. Um die durchschnittliche Lebensdauer eines Reetdaches von bis zu 50 Jahren gewährleisten zu können, sollten außerdem ein Experte das Dach regelmäßig auf Schäden überprüfen.
Wann entscheide ich mich für ein Reetdach?
Ein Reetdach wird heute nur noch in den seltensten Fällen als Dachkonstruktion für einen Neubau genutzt. Grund dafür sind mehrere Faktoren: Die hohen Kosten, die langen Bauzeiten und der Pflegeaufwand des Daches. Sollte sich ein Bauherr dennoch für ein Reetdach entscheiden, spielen meist in erster Linie optische Gründe eine Rolle. So versprüht das Reetdach früher wie heute einen besonderen Charme. Reetdach-Dachdecker Hans-Hermann Ohm geht sogar noch weiter: "Wer für sich und seine Familie ein Haus bauen und gesund und natürlich, ohne chemische Zusatzstoffe leben möchte, der kommt an einem Reetdach nicht vorbei."
Neben dem Abwägen der bereits genannten Vor- und Nachteile sollte bei der Entscheidung für ein Reetdach auch die Lage des Hauses beachtet werden. Ist diese beispielsweise durch eine dichte Bewaldung ungünstig, so kann das Dach schnell von Schimmel oder Schädlingen befallen werden, sodass die Lebensdauer des Reetdaches rapide verkürzt und der Pflegeaufwand erhöht wird. "In jedem Fall sollte die Genehmigungsfähigkeit der geplanten Dachform vor dem Einreichen der Bauantragsunterlagen mit der Genehmigungsbehörde geklärt werden", so Bauherrenberater Dietrich Kabisch.
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